Was lange währt…

…wird nicht automatisch gut. Oder vielmehr: war einfach nicht gut.
Drei Monate lang habe ich nichts geschrieben, nicht, weil nichts passiert ist, sondern eher, weil so viel passiert ist – und ich dazu gefühlt ständig krank war. Und mich krank in die Schule geschleppt habe. Mit dem Ergebnis, dass ich noch länger krank war. Ein klassischer Fall von theoretischem Wissen und praktischer Ausführung. Und dem Gefühl, dass man dann doch mal unersetzlich ist.
Denn die 13er machen Abi und wir haben nicht alles wirklich geschafft.
Denn in meiner 6. Klasse wird der Außenseiter entweder zum Mobbinopfer oder ist ein extrem hintenrum agierender Intrigant (und ich habe Aussagen von eigentlich zuverlässigen, neutralen Schüler, die beide Sichtweisen bestätigen).
Denn mein Staatsfeind Nr. 1 Hauptstörenfried Oberchaot wechselt von der offenen Revolte in den Untergrund, was die Sache erschweren könnte, wenn er dabei nicht so dusselig vorgehen würde. Inklusive mir dreist ins Gesicht lügen. Was mich tatsächlich sehr getroffen hat, denn ich stecke seit anderthalb Jahren unglaublich viel Energie in dieses Kind, dass unglaublich tolle Seiten und Potential hat. Dem ich immer wieder versucht habe zu zeigen, dass er dieses Potential hat. Dass er nur sein Verhalten ändern muss. Vom dem ich wusste, dass er genau die handbreit zugibt, die ich ihm nachweisen kann. Von dem ich nicht wusste, dass er ein unglaublicher Schauspieler ist, der mir die elaboriertesten Lügengeschichte auftischt. Aber nun steht er leider auf der persönlichen Abschussliste unseres Direktors – eine Ehre, die er sich mühevoll erarbeitet hat. Und ich muss mich daran erinnern, dass die übrigen Kinder in der Klasse ebenso ein Anrecht auf meine Aufmerksamkeit, auf Unterricht, auf Lernen, auf einen Schultag ohne beleidigt, angerempelt, Sachen zerstört zu bekommen… haben und es nicht mein einziger Job ist, diesen Schüler zu „retten“. So gerne ich das würde. Denn er ist auch eine „arme Socke“, bei dem in der Familie ne Menge im Argen liegt. Nur leider ist er damit nicht der Einzige in der Klasse. Bei weitem nicht.
So habe ich kurz vor den Ferien z.B. endlich mal weitere Teile der Hintergrundgeschichte eines anderen Jungen erfahren (dessen übrigens gerade seit Wochen im Ausland weilt, während die Kinder – 11, 6 und 3 – von einer befreundeten Familie zur anderen geschoben werden), der seit Jahren keinen Kontakt mehr zu seinem Vater hat. Was ihm richtig weh tut. Ich hätte den Kleinen echt am liebsten nur in den Arm genommen. Ok, an anderen Tagen möchte ich ihn aus dem Fenster schmeißen, weil er unglaublich zickig, bockig, uneinsichtig und unfair sein kann. Mögen tu ich ihn trotzdem. Und ich glaube, das weiß er auch. Deswegen ist er mir gegenüber vermutlich oft auch besonders kritisch.
Und das sind nur ein paar Geschichten, es gibt diverse Rosenkriegsgeschichten, Eltern, die ihre Kinder gegeneinander ausspielen, Eltern, die ihre Kinder mit Geld abspeisen, aber null Aufmerksamkeit geben (das Kind muss funktionieren), Familien, in denen ein Elternteil schwer bis tödlich erkrankt sind usw. usf.
Und dazu schon der leichte Abschiedsschmerz und die Sorgen der „Klassenmutti“, die ihre 6er am Ende des Schuljahrs in fremde Hände geben muss, wo ich sie doch langsam richtig gut kenne. Wo ich so viel Arbeit in die Klasse gesteckt habe, in meinen „Chaostrupp“, mit denen man inzwischen richtig toll arbeiten kann (insbesondere alles, wo sie Verantwortung übernehmen muss, Referate usw). Ich soll „meine Kinder“ an irgendeinen anderen abgeben? Was, wenn das einer ist, der keine Lust auf pädagogische Arbeit hat? Dann gehen sie mir doch vor die Hunde…mein Chaostrupp…

All das ballte sich in den letzten Wochen so dermaßen zusammen, dass ich daran echt zu knabbern hatte (und wer weiß, was evtl noch alles passiert, von dem wir nichts wissen und die Kinder drunter leiden). Und ich arbeite an einem Gymnasium mit eigentlich ziemlich gutem Einzugsgebiet, wie es so schön heißt.
Da fragt man sich schon an manchen Stellen, warum die Erwachsenen nicht einfach mal wirklich erwachsen sein und sich zum Wohle ihrer Kinder zusammenreißen können.

Und es lässt mich immer wieder dankbar sein für das wohlbehütete und normale Elternhaus, in dem ich groß werden durfte.

Natürlich sind auch schöne Dinge passiert:
– Die Skifreizeit der 9er, die wunderbar entspannt verlief.
– Die 13er, die nach dem Abi auf jeden Fall noch einmal ein Kurstreffen veranstalten wollen.
– Die Eltern, die ihr Bedauern ausdrückten, dass ich die Klasse abgeben werde.
– Unzählige lustige und schöne Momente im Unterricht mit jeder Klasse (sogar in der 7 – wenngleich da auch leider unglaublich wenige, die sind gerade vor allem anstrengend…)
– Mein Englisch LK – ich liebe ihn einfach, man kann da so viel ausprobieren und es klappt immer fast immer oft.

Und immerhin versuche ich mir gerade wieder so etwas wie ein Privatleben aufzubauen mit regelmäßigem Schwimmen (ok, die letzten vier Wochen nicht, weil ich ja meine Erkältung verschleppt und verschlimmert habe) und Reitunterricht (das Joggen-Experiment ist kläglich gescheitert). Im Moment geht das ganz gut – ich unterrichte gerade aber auch nur 20 Stunden, weil ich Überstunden abfeiern darf (und wenn die 13er weg sind, sind es sogar nur noch 17 =) ). Korrigieren geht trotzdem nicht schneller wegen Krankheit und sozialer Dramen in meiner 6. Klasse.

So ist also der Stand der Dinge nach nunmehr über zwei Jahren im Vollzeitjob (5 Jahren inkl. Ref), anderthalb Jahren erste Klassenleitung.
Sind ja nur noch ca. 32 Jahre…